New Materialisms

11.01.2017

New Materialisms

Die MedienOperative, 1977 als Zentrum für unabhängige Videoarbeit und Videokultur in West-Berlin gegründet, veranstaltete im Rahmen des 17. Internationalen Forums des Jungen Films 1987 erstmals ein mehrtägiges Videoprogramm. Auf Betreiben Micky Kwellas folgte ein Jahr später das VideoFilmFest, das ebenfalls im Zusammenhang mit der Berlinale stattfand. Erst 1990 präsentierte sich das VideoFest als ein eigenständiges Festival für Videokunst und Videodokumentation. Die zeitliche Nähe zur Berlinale blieb erhalten.

An die Geschichte des Festivals erinnert ever elusive durch die Wiederaufführung einzelner Videoarbeiten aus dem Archiv der transmediale: Utopia von Max Almy & Teri Yarbrow, Wundbrand von Kain Karawahn, Losing Sleep von Doug Porter und Little Figures von Sarah Vanagt. Die Präsentation von vier frühen Experimentalfilmen der amerikanischen Computerkunst-Pionierin Lillian Schwartz aus den Jahren 1970–72 während der Eröffnung bezieht sich auf die wiederkehrende Beschäftigung mit Computeranimationen in der ersten Dekade des Festivals und verweist auf einen zentralen Aspekt von ever elusive: die zunehmende Rolle von Maschinen in kreativen Prozessen. Audiovisuelle Abstraktionen ziehen sich ebenso durch die internationale Auswahl historischer und zeitgenössischer Filme wie der dokumentarische Blick auf die materiellen und animistischen Bedingungen einer Wirklichkeit, die der vermeintlichen Entmaterialisierung der digitalen Welt entgegenstehen.

Der Begriff Posthumanismus bezeichnet ein Denken, das über das menschliche Subjekt als alleinige Bezugsgröße hinausgeht und auf die Gleichwertigkeit allen Lebens abzielt. Nichtmenschliche Akteure wie Tiere und Pflanzen finden sich in das System wechselseitiger Abhängigkeiten einbezogen und werden zu Adressaten der Sehnsucht nach Kommunikation. Ein solcher relationaler Ansatz beruht auch auf der Erkenntnis, dass die Natur grundsätzlich technologisch vermittelt ist – sie trägt in sich die Effekte des modernen ökonomischen und sozialen Fortschritts in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Doch gerade im Bewusstsein der menschlichen Interaktion mit dem, was Rosi Braidotti als „Kontinuum eines sich selbst organisierenden Vitalsystems“ (1) beschreibt, baut die posthumane Wende auf die Abkehr von der immer grenzenloser betriebenen Kommodifizierung der lebenden Materie. Vor diesem Hintergrund widmen sich die Filme des Programms einer Vielzahl gesellschaftlicher Fragen und Kontexte: von der Geschichte der Industrialisierung und des Kolonialismus bis zu Gesundheitsvorsorge, Bodenpolitik und den urbanen Gemeingütern.

The Sprawl (Propaganda About Propaganda), das Langfilmdebüt des niederländischen Designstudios Metahaven von 2016, reflektiert beispielsweise die geopolitischen Implikationen der digitalen Vernetzung und die Rolle von Propaganda im Zeitalter sozialer Medien. Das Internet ist zu einer souveränen Macht ohne Norm, zu einer Superwaffe für die Manipulation von Informationen geworden. In unserer als postfaktisch beschriebenen Gegenwart scheint gerade die Offenheit des globalen Netzes das Aufkommen neuer Nationalismen und antiliberaler Narrative zu verstärken.

Das Film- und Videoprogramm von ever elusive zeigt dezidiert künstlerische Herangehensweisen im Umgang mit analogen und digitalen Ästhetiken. Die bewusste Überforderung menschlicher Wahrnehmung im Kino sowie der Verweis auf Vorgänge, die sich jenseits von Wahrnehmbarkeit und Kontrolle vollziehen, identifizieren die Verselbstständigung der Maschine als einen der wesentlichen Aspekte der vergangenen und zukünftigen technischen Entwicklung. Die Filme changieren zwischen utopischen und dystopischen Szenarien, um nicht zuletzt eine Widerständigkeit gegenüber den herrschenden Machtverhältnissen im globalen Kapitalismus zu behaupten.

(1) Rosi Braidotti: „Die Materie des Posthumanen. Kontexte und Ausblicke des neuen Materialismus“, in: springerin, Heft 1, Frühjahr 2016, S. 18.

 

Festival

02.–05.02.2017
Mit Filmen von Emanuel Almborg, Max Almy & Teri Yarbrow, Ramin Bahrani, Andreas Bunte, Beatrice Gibson, Louis Henderson, Kain Karawahn, Shambhavi Kaul, Rainer Kohlberger, John Latham, Elke Marhöfer, Steven Matheson, Jesse McLean, Metahaven, Doug Porter, Alain Resnais, Sita Scherer, Maximilian Schmoetzer, Lillian Schwartz, Percy Stow, Lisa Tan, Armin Thalhammer, Sarah Vanagt, Stan Vanderbeek, Dorine van Meel, Ana Vaz, Sun Xun

04.02.2017, 21:00–23:00
The Sprawl (Propaganda About Propaganda), Metahaven, 2016, gefolgt von einem Gespräch mit Susan Schuppli

Closing Weekend

04.–05.03.2017
Mit Filmen von Constanze Ruhm & Emilien Awada, Caspar Stracke

 

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